SK König Tegel 1949 e.V.

Streamer-Tipps: Chess Wisdom

Das Internet quillt über mit Angeboten von Schachstreamern, da kann man schon mal die Orientierung verlieren. In einer lockeren Folge von Beiträgen stellen wir einige interessante Streamer vor, die man bislang vielleicht noch nicht auf dem Schirm hatte. Mit dieser Folge beginnen wir eine Serie von Beiträgen, die junge Spieler anregen möchte, Quellen zu erschließen, um sie im Schach weiterzubringen.

Wir beginnen mit einem Youtube-Channel in englischer Sprache aus Aserbaidschan, einem Land mit großer Schachtradition und die Heimat des Schachgiganten Garri Kasparow.

Seit vielen Jahren spielen die Großmeister Shakhriyar Mamedyarov und Teimour Radjabov oben mit, vor einigen Jahren war der frühere deutsche Nationalspieler Arkadij Naiditsch zur aserischen Föderation gewechselt. Vor Kurzem war Nijat Abasov im Kandidatenturnier in Toronto dabei.

Erste Folge: Chess Wisdom aus Aserbaidschan

Dieses Mal berichten wir über Jabrayil Fatullayev, einem bescheidenen Mann von 38 Jahren, der das Schachspiel erst mit 18 Jahren erlernt hat und seit einer Zeit über seinen Youtube-Channel Chess Wisdom https://www.youtube.com/@chesswisdom („Schach-Weisheit“) wahre Perlen aus der Schatzkiste der Klassiker kommentiert.

In der heutigen Zeit schauen wir uns gewöhnlich im Netz um auf der Jagd nach den neuesten Fallen, den jüngsten Großmeistern, den heftigsten Eröffnungstricks, den umtriebigsten Streamern, was auch immer. Je lauter und knalliger, desto beliebter. Leise, besonnene und bescheidene Angebote kommen dabei zu kurz. Warum sollte man sich auch mit den Klassikern beschäftigen?

Wieso überhaupt Klassiker?

Erstens: Viele Manöver und Stile wurden schon vor langer Zeit geprägt und untersucht, Verteidigungsstrategien, einfallsreiches Ringen um die Initiative, das Pillsbury-Manöver, die Schwerfigurenbatterie von Aljechin, Gellers und Petrosjans Attacken im Damengambit, die klassischen Gegenspielideen Bronsteins, Boleslawskis und Gellers im Königsinder, Spielmanns Überfälle: sehr viel ist schon dagewesen, → und auch Magnus Carlsen hat diese Dinge in jungen Jahren aufgesaugt. Eine gute Allgemeinbildung schadet selten, und je früher man diese Klassiker kennenlernt, desto früher kann man versuchen, diese Vorbilder in seinem eigenen Spiel zu implementieren.

Zweitens – das kennen wir schon aus dem Geschichtsunterricht: Wer sich nicht mit der Vergangenheit beschäftigt, muss das alles selbst wiederholen. Wer zum Beispiel 1.e4 e5 mit Schwarz spielt und keine Klassiker kennt wie Nimzowitsch-Capablanca aus dem Jahr 1914 beim Superturnier in Petersburg, der wird sich erst langsam an die Spielweisen dieser Art herantasten müssen.

Oder wir schauen in Bücher wie Kasparows „Meine großen Vorgänger“, aber viele junge Schachspieler schauen kaum noch in Schachbücher. Schade! Mein Tipp wäre zum Beispiel „Tal, Petrosian, Spassky and Korchnoi – A Chess Multibiography with 207 games“ von Andy Soltis (leider nur in englischer Sprache zu haben, → siehe Rezension). Aber „My Great Predecessors“ gibt’s inzwischen auch als Chessablekurs zum Durchklicken.

Jabrayil Fatullayevs Lieblingsbücher: David Bronsteins Buch über das Kandidatenturnier Zürich 1953 (beim Kaufen darauf achten, dass man die ungekürzte Ausgabe erwischt, deshalb ist die deutschsprachige Sportverlagausgabe nicht empfehlenswert) und eigentlich alle Bücher von Bronstein, weil es sein Lieblingsautor ist. Zudem noch „Die Meister des Schachbretts“ von Richard Réti und Lipnitzkis Fragen der modernen Schachtheorie.

Der Streamer stellt Klassiker der Schachgeschichte vor. Sein Vortrag in englischer Sprache ist ruhig, ausgesucht und deutlich knarrt sein Akzent durch den Äther, aber er spricht sehr verständlich und nicht zu schnell, so dass auch Schüler, die eher so mittel in Englisch sind, die Chance haben, ihm zu folgen.

What to do when you misplayed the opening and you get a strategically lost position after the first ten moves?

Versucht es mal: Schaut Euch an, wie Bronstein mit den Läufern zaubert („this game is a brilliant illustration of the power of two bishops and their effective coordination“, so beginnt die Saga von Kaplan gegen Bronstein, Hastings 1975/76), wie Spielmann mit e5-e6 der schwarzen Stellung zusetzt und wie Spassky in hoffnungsloser Stellung aus dem Nichts heraus mit einem phantastischen Figurenopfer nach dem letzten Stohhalm greift, um Gegenspiel zu suchen. („What to do when you misplayed the opening and you get a strategically lost position after the first ten moves?“)

Der Vorzug an Fatullayevs Videos: sie sind knapp gehalten und enthalten genau die Essenz dessen, was man mitnehmen muss. Er ist nicht ausschweifend, er erzählt genau auf den Punkt und er macht Pausen an den entscheidenden Stellen. Außerdem versucht er nicht, seine Zuhörer durch übertriebene Pointen bei der Stange zu halten, sondern vertraut auf das Interessante seiner Inhalte, und die erklärt er vorbildlich. Ein interessanter und guter Channel.

Wenn Ihr Vorschläge habt, welche Youtube-Channel wir noch vorstellen sollen: Schreibt uns einfach etwas in die Kommentare, und wir schauen es uns an! Oder berichtet selbst an dieser Stelle selbst von Euren Lieblingsstreamern!